„Ich vermisse in Nürtingen einen Manga-Laden!“
„Ich mag eigentlich keine Hunde“, begrüßt mich die 11-jährige Michelle Frank, als sie an meinen Tisch im Café Regenbogen kommt. Dennoch lässt sie es zu, dass sich meine Hündin Nayla friedlich zu ihren Füßen niederlässt. Ich warte also ab und sie erzählt mir unaufgefordert, dass sie gerade Katzennachwuchs zu Hause in Oberensingen haben, 7 junge Katzen tummeln sich dort. Während wir uns miteinander unterhalten, verspeist sie mit Appetit ihr Mittagessen, eine belegte Seele. Michelle kam direkt von der Schule, dem Max-Plank-Gymnasium, wo sie die 6. Klasse besucht. Und schon hatten wir unser erstes Thema! Ihre Lieblingsfächer Mathe und Kunst machen mich natürlich neugierig, eine ungewöhnliche Kombination. Mit einem Augenzwinkern sage ich ihr, dass alles was sie mir berichtet, natürlich wahr sein sollte und später schwarz auf weiß nachzulesen sein wird. Aber sie bleibt dabei und ich freue mich, ein Thema zu haben, über das sie gerne spricht. Tatsächlich mag sie nicht nur den Kunstunterricht, sondern malt auch gerne nur für sich, vor allem Mangas, die japanische Form von Comics, deren kindlich anmutende Protagonisten mit übergroßen Augen gezeichnet werden. Auf Nachfrage gibt sie lächelnd zu, dass sie solche Mangafiguren auch im Unterricht malt, wenn ihr langweilig ist. Immerhin besser als heimlich am Handy herumzuspielen, denke ich mir. Im Laufe unseres Gesprächs gibt sie mir eine kleine Kostprobe ihres Könnens und malt mit dem Kugelschreiber ein Auge im Mangastil. Ein wenig neidisch macht mich das schon, aber ich hoffe, sie bewahrt sich ihre Freude an der Kunst und kann ihre Kreativität ausleben – nicht einfach in unserem „verkopften“ Bildungssystem!
Michelle erzählt mir, dass sie am liebsten zuhause für sich ist, zusammen mit ihrer Lieblingslektüre, den Mangas natürlich! Mit einem neuen Manga-Comic im Bett, dann ist für sie die Welt in Ordnung.
Wir kommen auf Nürtingen zu sprechen. Michelle wurde hier geboren, ist in Oberensingen aufgewachsen und dort auch in die Grundschule gegangen. Ihre Eltern selbst kommen allerdings aus Russland. Sie mag das Land und geht jedes Jahr in den Sommerferien gerne mit ihren Eltern dorthin, um die Verwandtschaft zu besuchen. Wenn sie nicht gerade für die Schule lernen muss, Mangas malt oder liest, streift sie gerne auch mal mit ihrer besten Freundin durch die Stadt. Leider vermisst sie Geschäfte, die auch für Kinder interessant sind. Die vielen Eisdielen sind für sie kein Ausgleich, sie mag Eis auch gar nicht so…
Michelle überrascht mich auch hier. Es fehlt ihr hier ein Manga-Laden, stellt sie mit Nachdruck fest, das würde sie ändern, wenn sie Bürgermeisterin wäre! Ein klares Statement, auch für die ansässigen Buchhandlungen, so etwas für den Lesenachwuchs in ihr Sortiment aufzunehmen.
Zum Schluss erzählt sie mir noch von ihrer Oma, die in Linsenhofen wohnt und dort den Traum für jedes Kind wahr werden lässt: einen geheimnisvollen Dachboden, den man über eine steile Leiter erklimmen kann. Dort lässt sich die Welt in Ruhe von oben betrachten und manchmal fällt aus dem Fenster versehentlich auch etwas hinunter in diese Welt – aber das ist eine andere Geschichte.

Volker Döring, Autorenkreis Atmosphäre, VHS Nürtingen / 05.10.2021