….blicke gegen Morgen, meinem lieben Nürtingen zu…..

Friedrich Hölderlin

Ein Samstagmorgen im Mai – 7 Uhr – aufgeregt, das Fernglas in der Hand die Treppen hinaufgestiegen  zur Trockenbühne – das einzige Fenster von dem aus man die Spitze des Kirchturms der Nürtinger Stadtkirche sieht. Beflaggt oder nicht – das galt es festzustellen. 

Nachdem am Abend zuvor bereits mit dem Maisingen voller Vorfreude die Nürtinger Nationalhymne, „Geh‘ aus mein Herz und suche Freud“, gesungen und damit auf den Maientag eingestimmt wurde, sollte heute der Festumzug stattfinden. Bei gutem Wetter war das klar – doch bei einer leicht regnerischen Laune der Natur musste eben geprüft werden ob der Kirchturm beflaggt ist. Wehten die blau-gelben Fähnchen war der Tag gerettet.  Auf zur Brotübergabe am Rathaus oder zum Treffpunkt der Schulklasse. Wochenlang hatten wir auch in unserer Freizeit mit den Lehrern zusammen Ideen gesammelt, gebastelt, gemalt, gehämmert und uns auf diesen Tag gefreut. Und auf die drei Maientagsbrezeln und eine Mark, die uns in der Schule ausgeteilt wurde. Mein erster Maientag war 1968 – damals hatte ich „nur“ mein neues Sommerkleidchen an – es war weiß mit kleinen blauen Blüten – und ein Blumenkränzchen im Haar. Später „gingen“ wir als Rulaman, Handwerker oder als Roboter ( zwei zusammengebastelte Schachteln übergestülpt ) und vieles mehr. Begeistert war ich von den älteren Jungs und Ihren Fahrrädern deren Speichen mit blauen und gelben Krepppapierstreifen wellenmäßig durchzogen waren. Diese Spannung und Freude, wenn der Spielmannszug mit seinen Trommlern und Maientagspfeiffern vorüberzieht und die vielen Musikvereine, das geschmückte Polizei- oder Feuerwehrauto, dieses Winken der Schüler und Schülerinnen, die ganz aufgeregt und stolz im Festzug mitlaufen……

War man im Schulchor, probte man wochenlang die Lieder fürs Maisingen und hoffte, dass der Wettergott am Freitagabend gnädig sei und erst 5 Minuten nach Ende die Schleusen öffnen würde. 

Gutes Wetter war sehr wichtig, gab es doch zum Maientag ein neues Sommerkleid: „Für Freud und Leid und für d’r Maientag“. Langjährige Tradition, ebenso wie das erste Eis der Saison am Freitagabend im Eiscafe Pra. Damals noch im Gebäude des heutigen Drogeriemarkt Müller mit schönem Vorplatz, weißen Blechtischchen und bunten Stühlen unter alten großen Bäumen. Am Samstag ging es nach dem Umzug auf den Rummelplatz an der `Schreibere´, am heutigen Standort des Hallenbads. Eine der ersten Erinnerungen ist  deshalb auch das Kinderkarussell. Später war dann die Festwiese mit den „Reigen“, den sportlichen Wettkämpfen und weiteren Vorstellungen der Schulen interessant. Einmal sind wir mit einem einstudierten sportlichen Tanz auf einem total matschigen Sportplatz ( dann schon in Oberensingen ) aufgetreten. Wir hatten so viel geübt, dass uns dieser Umstand nicht davon abhielt,  wir machten eben alles barfuß. Auch die Kletterbäume hatten es mir angetan. Wurde man doch oben mit einem Geschenk belohnt. Und als ich alt genug war, durfte ich auch einmal raufklettern.

Dann kam die Zeit der Box Autos und der Festzeltbesuche. Und auch heute trifft man den ein oder anderen Altnürtinger, den man aus der Kindheit oder Schule kennt, im Mai in der Stadt. Und auf die Frage: „ So, bist du auch mal wieder in der Heimat“, hört man dann: 

„ Ja klar, s’isch doch Maientag“.

Monika Austermann