Begegnungen
Ein Leben ohne Begegnungen bleibt unerfüllt. Begegnungen, das heißt ins Gespräch kommen, herzhaft miteinander lachen, offen bleiben, miteinander Kaffee trinken oder einfach einem Menschen zulächeln, ohne danach zu fragen, was für einen Wert mein Gegenüber hat. Begegnungen mit Kindern sind meist ehrlich und offen. Ein Kinderlachen ist wie ein Sonnenstrahl mitten ins Herz. Begegnungen können sich über viele Jahre vertiefen und unser Leben auf wunderbare Weise bereichern. Oder Begegnungen können kurz und hektisch sein wie an der Kasse im Supermarkt.
Meine erste bewusste Begegnung, an die ich mich erinnere, liegt lange zurück. Ich erlebte sie 1945 als fünfjähriges Kind. Ein zerlumpter Mann stand vor unserer Waschküche und bat um etwas zu essen. Sein trauriger Blick, seine Haltung und wie er langsam davonschlurfte, prägte sich mir unauslöschlich ein. Die Erinnerung an diese Begegnung begleitet mich bis heute.
Eine andere Begegnung hatte ich erst vor kurzem auf einem Bahnhof im Ruhrgebiet. Ein junger Mann sprach mich an, weil er Hunger hatte. Mein erster Gedanke war, dass er das Geld vertrinken würde. Aber wir schauten uns offen in die Augen, und zwischen uns stellte sich Vertrauen her. Ohne Vertrauen findet keine ehrliche Begegnung statt.
Solche Begegnungen erlebt man auch im Roßdorf, wo sich die Menschen vor dem ökumenischen Gemeindezentrum unter einem Kastanienbaum und am Brunnen am Dürerplatz unter einer Linde zum Reden und Entspannen treffen und wo auch einmal nichts gemacht wird. Und wer will, kann sich ganz nebenbei an das Schubert-Lied „Am Brunnen vor dem Tore/Da steht ein Lindenbaum“ erinnern.
Paula Rölling